WILLE GOTTES

Der Wille Gottes fällt im wesentlichen mit seinem Ratschluß zusammen. ,,Gott will, daß alle Menschen gerettet werden" (1 Tim 2, 4), schreibt der hl. Paulus und faßt damit die prophetischen Weissagungen und die Botschaft Jesu zusammen. Das aber heißt: alle Kundgebungen des göttlichen Willens im Verlauf der Geschichte fügen sich in einen Gesamtplan, in einen Ratschluß der Weisheit ein; doch bezieht sich jede von ihnen auf ein besonderes Geschehnis, und der Mensch betet, eben um die Fügungen Gottes in diesem Geschehen annehmen zu können: ,,Dein Wille geschehe!" Auf diese Weise offenbart die bereits abgelaufene Geschichte den Ratschluß Gottes in seinem Ewigkeitscharakter. Doch wendet sich der Mensch, wenn er sich dem Willen Gottes unterwirft, auch vertrauensvoll der Zukunft zu, weiß er sie doch von vornherein von Gott gelenkt.

Dieser Wille Gottes nimmt eine besondere Form an, wenn er sich dem Menschen gegenüber kundtut, denn dieser muß sich ihm innerlich gleichförmig machen und ihn frei vollziehen. Er tritt nicht als Schicksal vor ihn hin, sondern als Anruf, als Gebot, als Forderung; das Gesetz vereinigt die Gesamtheit der klar zum Ausdruck gebrachten göttlichen Willensäußerungen in sich. Indes besitzt das Gesetz einen statischen Charakter, da es die Form einer beständigen Einrichtung annimmt. Es bedarf eines Bemühens, um hinter ihm jenen persönlichen Willen zu entdecken, der in jedem Augenblick ein Ereignis bleibt, vom Menschen eine Antwort erheischt, ein Gespräch anknüpft. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, kommt der Wille Gottes seinem Worte sehr nahe, das ebenso sehr Handeln als AEußerung ist. Der Wille Gottes ist vor allem ein Akt, der offenbart, was ihm gefällt. In diesem Sinne ist er nicht einfachhin identisch mit dem Ratschluß Gottes, der ihn in einen Gesamtplan einordnet, aber auch nicht mit seinem Gesetz, das ihn praktisch zum Ausdruck bringt.

Andere Stichwörter behandeln die verschiedenen AEußerungen des göttlichen Willens im einzelnen: Auserwählung Berufung Befreiung >> Verheißungen Strafgericht Heil . . . Hier soll auf gezeigt werden, in welcher Weise der Wille Gottes, der im Himmel geschieht, auch auf Erden zu geschehen hat (Mt 6, 10); als Heilswille, der an sich wirksam ist, begegnet er dem Willen des Menschen, den er nicht ausschalten, sondern zur Vollkommenheit führen will. Um dies zu erreichen, muß Gott über die Bosheit des Menschen obsiegen und die UEbereinstimmung des Willens des Menschen mit dem göttlichen Willen herbeiführen.

AT

Am Anfang trat der Wille des Schöpfers dem Adam unter einem doppelten Aspekt vor Augen: auf der einen Seite als hochherziger Segen der von der Herrschaft über die Tiere und von der Anwesenheit einer idealen Gefährtin begleitet wurde, auf der anderen Seite als eine Beschränkung der menschlichen Freiheit: ,,Du sollst nicht essen (Gn 2, 17). Damit begann das Drama: Statt in diesem Verbot eine erzieherische Prüfung zu erblicken, die darauf abzielte, seine Abhängigkeit im Rahmen einer wirklichen Freiheit aufrecht zu erhalten, schrieb Adam sie einem Willen zu, der eifersüchtig auf seine Selbstbehauptung bedacht war, und verweigerte den Gehorsam (3, 5ff). Als das Gespräch auf die Initiative Gottes hin wieder aufgenommen wurde (3, 9), war der Wille Gottes für die Schlange zum Fluch geworden (3, 14), für den Mann und die Frau zur Ankündigung eines Strafgerichtes die aber durch eine Perspektive des endlichen Sieges erhellt wurde (3, 15 - 19). Das ist der Hintergrund, von dem sich im Alten Testament das Problem des Willens Gottes abhebt.

I. Gott offenbart seinen Willen

Von da an tut sich der Wille Gottes der sündhaften Menschheit nicht mehr unmittelbar und allen vernehmlich kund. Er wird einem auserwählten Volke durch das Eingreifen Gottes in die Geschichte und durch die Gabe des Gesetzes im besonderen mit geteilt.

1. Im Verlaufe der Geschichte. Israel lernt den erbarmenden und liebenden Willen Jahves vor allem mit Hilfe der Großtaten Gottes erkennen Dieser ist entschlossen, Israel aus der Sklaverei AEgyptens zu befreien (Ex 3, 8), trägt es auf Adlersflügeln von dort weg (Ex 19, 4), denn es hat ihm gefallen, es zu seinem eigenen Volk zu machen (1 Sm 12, 22). Nach der Prüfung des Exils will er Jerusalem wieder erstehen und den Tempel wieder aufbauen lassen, und geschähe dies mit Hilfe eines Heiden (Is 44, 28). Daraus soll Israel erkennen, daß Gott nicht den Tod, sondern das Leben will (Ez 18, 32), nicht das Unheil, sondern den Frieden (Jr 29, 1 ). Ein solcherart zum Ausdruck gebrachter Wille ist ein Zeichen der Liebe Auch die Gabe des Gesetzes ist ein Zeichen der Liebe, denn dieses gibt Israel zu verstehen, daß das Wort als Ausdruck des Willens Gottes jederzeit "ganz nahe bei dir ist, in deinem Mund und in deinem Herzen, auf daß du es vollbringest" (Dt 30, 14). Die Psalmisten haben die Erfahrung dieser Berührung mit dem göttlichen Willen als Quelle unvergleichlicher Freude besungen (Ps 1, 2). In der nachexilischen Literatur wird man in Tobias den aufzeigen, der durch "den Willen Gottes" gesegnet worden ist (Tob 12, 18). Daher steigt das inbrünstige Gebet zu Gott empor: ,,Lehre mich, deinen Willen zu erfüllen" (Ps 143, 10).

2. In der inspirierten Reflexion. Um diesen Willen ehrfürchtiger anzubeten, dessen Transzendenz sie sich bewußt sind, heben Propheten, Weise und Psalmisten bald diesen, bald jenen Aspekt stärker hervor.

a) Vor allem die völlige Unabhängigkeit. ,,Gott fällt seine Entscheidung, wer vermag diese zu ändern? Was er geplant, das führt er auch aus" (Jb 23, 13). Das Wort das er auf die Erde entsendet, ,,vollbringt alles, was er will" (Is 55, 11), selbst wenn es sich um Zerstörungen handelt (Is 10, 23). Gott handelt seinem Willen gemäß, nicht nach menschlichen Ragebern (Is 40, 13). Solche in der Bibel ständig wiederkehrende Aussagen bringen die Allmacht Gottes, zugleich aber auch seine völlige Unabhängigkeit zum Ausdruck. Als Schöpfer hat er im Himmel und auf Erden die unbeschränkte Macht, und die Kräfte der Natur gehorchen seinen Befehlen (Ps 135, 6; Jb 37, 12; Sir 43, 13 - 17). Als Herr seines Werkes lenkt er selbst die Regungen des menschlichen Herzens (Spr 21, 1) und schenkt die Großreiche, wem er will (Dn 4, 14. 22. 29); er erhöht oder erniedrigt, wen er will (Tob 4, 19). Angesichts der absoluten Unabhängigkeit eines Willens, der ihm zuweilen als Willkür erscheint (Ez 18, 25), könnte der Mensch in die Versuchung geraten, sich dagegen aufzulehnen, wie Adam dies getan hat. Deshalb greift die Bibel das traditionelle Bild vom Töpfer, der nach Belieben über den Ton verfügt, auf und ruft dem Menschen seine völlige Abhängigkeit auf Grund seiner Geschöpflichkeit in Erinnerung: ,,Wer vermag dem Willen Gottes zu widerstehen? 0 Mensch, wer bist du denn, der du mit Gott rechten willst?" (Röm 9, 19ff; vgl. Jr 18, 1 - 6; Is 29,16; 45, 9; Sir 33, 13; Weish 12, 12.) Dem Geschöpf kommt es zu, den Willen seines Schöpfers demütig anzubeten wo immer sich dieser kundtut.

b) Weisheit des göttlichen Willens. Die Anbetung des Geheimnisses beruht nicht auf dem Verzicht auf jegliche Einsicht, sondern auf einem tiefen Glauben an die Gerechtigkeit Gottes, auf einer Erkenntnis des Ratschlusses des Planes, der Weisheit die den Vollzug seines Willens bestimmen. Kein menschlicher Verstand vermag ihn auszudenken (Weish 9, 13), die Weisheit aber schenkt das Begreifen dem, der sie darum bittet (9, 17). Dann erkennt man, daß ,,der Plan Gottes, die Gedanken seines Herzens, Bestand haben für und für" (Ps 33, 11) zum Unterschied von denen des Menschen (Spr 19, 21).

c) Endlich ein wohlwollender Wille, was in den Ausdrücken Wohlwollen, Wohl gefallen, Güte, Hold und Gnade zum Ausdruck kommt. ,,Jemanden wollen" heißt im Hebräischen ebenso wie in anderen Sprachen ,,jemanden lieben" (vgl. im Deutschen: jemanden ,,mögen"). In diesem Sinn ,,will" Gott seinen Knecht (Is 42, 4), sein Volk (Ps 44, 4), die Gerechten (Ps 22, 9). Und in seinen Auserwählten liebt, will er das Erbarmen, das Verzeihen (Mich 7, 18), die Güte (Os 6, 6; Jr 9, 23; Is 58, 5ff).

II. Im Kampf mit der Weigerung des Menschen

Nun aber stößt der Liebeswille Gottes bei dem sündhaften Willen des Menschen auf Ablehnung: die Geschichte Adams bleibt stets aktuell. Hören wir nur beispielsweise den Propheten Amos. Für das treulose Israel wird der Wille des Segens zum Willen, ein Straf Gericht zu vollziehen (z. B. Am 1, 3. 6 .. .) als Lösepreis der Erwählung (3, 2); wenn aber der Mensch seinen Herrn noch immer nicht anerkennen will (4, 6 - 11), mache er sich auf das endgültige Strafgericht gefaßt (4, 12). In diesem Falle lastet die Drohung der Verhärtung auf ihm. Gott aber verhärtet sich nicht in seinem Strafwillen. Er ist stets bereit, sich seine Entscheidungen gereuen zu lassen, seinen Willen zu ändern (Jr 18, 1 - 12; Ez 18; vgl. Ex 32, 14; Jon 3, 9f); er kündigt an, daß wenigstens ein Rest überleben wird (Is 6, 13; 10, 21). Er hat Wohlgefallen daran, wenn sich der Sünder von seinem Wandel bekehrt und lebt" (Ez 18, 23).

Dieser Wille aber bliebe eine bloße Absicht ohne Wirkkraft, wenn Gott die Sache des Sünders nicht selbst in seine Hand nähme. Deshalb geht er daran, den Willen seiner treulosen Braut von innen her zu bewegen (Os 2, 16), er gibt Israel ein neues Herz auf daß es seinem Willen gemäß wandle (Ez 36, 26f; vgl. Jr 31, 33). Zu diesem Zweck erweckt er einen Knecht dessen Ohr er Morgen für Morgen weckt (Is 50, 4), um ihn zu befähigen, seinem Willen zu >> gehorchen (Ps 40, 8f); daher wird dank dem Knechte ,,das Vorhaben Jahves gelingen" (Is 53, 10). Doch wird dies nicht um den Preis eines Zwanges geschehen, außer dem der Liebe: Der Bräutigam weckt seine Braut nicht, bevor diese es will (Hl 2, 7; 3, 5; 8, 4). Wenn diese sich aber ihrem Bräutigam wieder zuwenden wird (Os 2, 17f), wird sie verdienen, von Gott selber genannt zu werden: ,,Mein Gefallen an ihr" (Is 62, 4).

NT

Im Morgenrot des Neuen Testaments beugt sich Maria, die gnadenvolle Magd des Herrn, dem göttlichen Willen in demütiger Unterwerfung (Lk 1, 28. 38). Und Jesus, der Gerechte schlechthin, kommt in die Welt, ,,um deinen Willen, o Gott, zu erfüllen" (Hebr 10, 7. 9). Er ist in einem noch viel höheren Sinne als David ,,der Mann nachdem Herzen Gottes, der alle seine Weisungen erfüllen wird" (Apg 13, 22).

I. Christus und der Wille Gottes

1. Jesus offenbart des Vaters Freiheit in der Wahl. Gegen den engherzigen Geist der Pharisäer die dem Herzen Gottes Beschränkungen auferlegen wollten, verkündete Jesus die absolute Freiheit Gottes in seinen Gaben. Diese Freiheit der Liebe kommt in der Parabel von den Arbeitern im Weinberge zum Ausdruck: ,,Ich will diesem letzten ebenso viel geben wie dir. Oder darf ich mit meinem Eigentum nicht tun, was mir beliebte Ist dein Auge neidisch, weil ich gut bin"' (Mt 20, 14f.) Auf diese Weise hat es Gott gefallen, den Kleinen die messianische Offenbarung vorzubehalten (11, 25) und der Kleinen Herde das Reich Gottes zu geben (Lk 12, 32). Doch werden nur die hineingelangen, die den Willen seines Vaters tun (Mt 7, 21), weil nur diese allein zu seiner Familie gehören (12, 50).

2. Jesus erfüllt den Willen seines Vaters. Im vierten Evangelium spricht Jesus nicht vom Willen seines Vaters (wie bei Mt), sondern vom Willen ,,dessen, der mich gesandt hat". Dieser Wille Gottes stellt eine Sendung dar. Er ist Jesu Speise (Jo 4, 34) ihn allein sucht Jesus (5, 30), denn er tut alles, was dem gefällt, der ihn gesandt hat (8, 29). Nun aber besagt dieser Wille, daß er allen denen, die zu ihm kommen, die Auferstehung und das ewige Leben verleihe (6, 38ff). Wenn dieser Wille für ihn auch einen "Auftrag" darstellt (10, 18), sieht er darin doch vor allem das Zeichen, daß ,,ihn der Vater liebt" (10, 17). Der Gehorsam des Sohnes ist Willensgemeinschaft mit dem Vater (15, 10).

Diese vollkommene Hingabe Jesu an den göttlichen Willen unterdrückt aber nicht jenen schmerzlichen Ton, den die Synoptiker im Verlauf der Passion erklingen lassen, sondern macht diesen erst verständlich. In Gethsemani empfindet Jesus "das, was ich will", und "das, was du willst", nacheinander in seiner scheinbaren Widersprüchlichkeit (Mk 14, 36); doch überwindet er den Gegensatz, indem er zu seinem Vater voll Innigkeit betet: ,,Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine" (Lk 22, 42). Auf das hin fühlt er sich selbst in der scheinbaren Verlassenheit vom Vater nach wie vor ,,geliebt" (Mt 27, 43 - Ps 22, 9). Jesus ist während seines irdischen Lebens nicht das zuteil geworden, was er so gerne erreicht hätte: die Kinder Jerusalems zu sammeln (23, 37), doch hat er durch seinen Opferwillen das Feuer auf der Erde entzündet (Lk 12, 49).

II. "Dein Wille geschehe!"

Seit in Jesus der Wille Gottes wie im Himmel also auch auf Erden verwirklicht wurde, hat der Christ die Gewißheit, daß diese Vaterunser Bitte Erhörung findet (Mt 6, 10). Als echter Jünger aber muß er diesen Willen auch erkennen und erfüllen.

1. Erkenntnis des Willens Gottes. Die Erkenntnis und Erfüllung des göttlichen Willens bedingen sich gegenseitig: Man muß den Willen Gottes erfüllen, um die Lehre Jesu würdigen zu können (Jo 7, 17). Andererseits aber muß man in Jesus und in seinen Geboten die Gebote Gottes selber erkennen (14, 23f). Dies gehört zum Geheimnis der Begegnung der beiden Willen, des Willens des sündigen Menschen und des Willens Gottes: Um zu Jesus zu gelangen, muß man vom Vater ,,gezogen" werden (6, 44), wobei dieses ,,ziehen" nach dem griechischen Wort Zwang und Lust zugleich ist (worauf das Wort des hl. Augustinus gründet: ,,Deus interior intimo meo"). Um den Willen Gottes festzustellen, genügt es nicht, den Buchstaben des Gesetzes zu kennen (Röm 2, 18), es bedarf der Hingabe an eine Person. Dies aber kann nur durch den Heiligen Geist geschehen, den Jesus verleiht (Jo 14, 26).

Dann erst gestattet das erneuerte Urteilsvermögen, "zu erforschen, was der Wille Gottes, was gut ist und wohlgefällig und vollkommen" (Röm 12, 2). Diese Erkenntnis bezieht sich nicht bloß auf das tägliche Leben; sie mündet in ,,die volle Kenntnis seines Willens, Weisheit und geistige Einsicht" aus (Kol 1, 9). Dies bildet die Voraussetzung für ein Leben, das dem Herrn gefällt (1, 10; vgl. Eph 5, 17). Selbst das Gebet kann fürderhin nur mehr ein Gebet ,,nach seinem Willen" sein (1 Jo 5, 14), und die klassische Formel ,,So Gott will" erhält einen ganz anderen Klang (Apg 18, 21; Kor 4, 19; Jak 4, 19), denn sie setzt eine beständige Ausrichtung auf ,,das Geheimnis des Willens Gottes" voraus (Eph 1, 3 - 14).

2. Das Handeln nach dem Willen Gottes. Was nützt das Wissen um das, was der Meister will, wenn man nicht danach handelt? (Lk 12, 47; Mt 7, 21; 21, 31.) Dieses ,,Tun" macht im Gegensatz zum Leben nach den menschlichen Leidenschaften (1 Petr 4, 2; Eph 6, 6) das eigentliche christliche Leben aus (Hebt 13, 21). Genauer gesagt: Der Wille Gottes im Hinblick auf uns zielt ab auf Heiligkeit (1 Thess 4, 3), Danksagung (5, 18), Geduld (1 Petr 3, 17) und Wohlverhalten (2, 15). Dieses Tun ist möglich, denn "Gott ist es, der im Sinne seiner wohlwollenden Absichten das Wollen und das Vollbringen in uns wirkt" (Phil 2, 13). Ist dies der Fall, so besteht Gemeinsamkeit des Wollens, Einheit von Gnade und Freiheit. Gehorsam